Leistung und Erschöpfung

Burnout in der Wettbewerbsgesellschaft

Zusammenfassung

«Burnout» ist ein schillerndes Phänomen, dessen Verwendung in den vergangenen Jahren stark inflationäre Tendenzen aufwies. Immer wieder fällt auch der Begriff der «Modekrankheit» (Neckel & Wagner, S. 7). «Genau diese Unbestimmtheit und Zeitgebundenheit ist es, die Burnout zu einem besonders lohnenden Gegenstand soziologischer Gegenwartsanalyse macht» (ibid.). Geboren wurde der Plan des Werkes «Leistung und Erschöpfung» 2012 im Rahmen des 36. Kongresses der Gesellschaft für Soziologie, der eben diesem Thema «Burnout» gewidmet war. Erklärtes Ziel der Autoren ist es, einen Beitrag zur Burnout-Diskussion zu leisten, dies sowohl auf der Ebene «subjektive Erfahrung» als auch unter Berücksichtigung «dessen Hintergrund[es] im Kontext gesellschaftlichen Wandels» (S. 17 f.).

Die Mehrheit der AutorInnen kommt aus dem Umfeld der Soziologie und Sozialpsychologie. Daher erstaunt es wenig, dass der Blickwinkel stets ein gesamtgesellschaftlicher ist. Die «blühende Ratgeberliteratur» (S. 8) greift aus Sicht der Wissenschaftler zu kurz, da diese mehrheitlich einer einseitigen «Ideologie der Eigenverantwortung» (ibid.) verpflichtet ist. Ohne ins andere Extrem zu verfallen und das Individuum in die Opferrolle zu verweisen, beleuchten die Autoren die Fragestellung aus unterschiedlichen Perspektiven. Besonders hervorgehoben sei an dieser Stelle der Beitrag des Historikers Kury. Auf packende Art und Weise öffnet er den Blick der Leserschaft, indem er sie auf eine spannende Zeitreise in die Vergangenheit mitnimmt.

Struktur und Inhalt

Das Buch vereint Beiträge verschiedener AutorInnen. Neckel und Wagner stecken als Herausgeben-de mit der Einleitung «Leistung und Erschöpfung» (S. 7 ff.) sowie dem letzten Kapitel «Erschöpfung als ‘schöpferische Zerstörung’, Burnout und gesellschaftlicher Wandel» (S. 203 ff.) den Rahmen ab.

Das Werk ist in vier Sektionen bzw. Hauptkapitel gegliedert:

Der erste Block widmet sich «Burnout als Pathologie» (S. 27 ff). Der Schwerpunkt liegt dabei auf der «Entstehung und Ausprägung» des Phänomens (Neckel & Wagner, S. 18), wobei sowohl die medizinische als auch die gesellschaftliche Betrachtungsweise gleichermassen berücksichtigt werden. Dabei wird auch auf in der Öffentlichkeit bekannte Burnout-Fälle wie derjenige der Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel verwiesen.

Die zweite Sektion trägt den Titel «Burnout als Diagnose» (S. 105 ff.). Die Erkenntnis, dass «die Unterscheidung von Gesundheit und Krankheit von Normen abhängt» (S. Neckel & Wagner, S. 19), ist nicht neu. Der Historiker Kury beleuchtet diese Frage, indem er die Entstehungsgeschichte der drei Zivilisationskrankheiten Neurasthenie, Managerkrankheit und Burnout bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt. In diesem Zusammenhang zeigt er schön auf, dass Krankheitsbefunde immer auch von einem «Konstrukt der Normalität»
(S. 19) abhängig sind.

«Burnout als Metapher» (S. 163 ff.) ist der dritte Betrachtungsansatz. Der Titel des Beitrags des Kultursoziologen Bröckling «Der Mensch als Akku, die Welt als Hamsterrad…» ist fast schon selbsterklärend. Als Leser wird einem bewusst, wie stark solche Bilder und Assoziationen in unsere Umgangssprache Einzug gehalten haben. Wer hat nicht schon «seinen Akku» während des Urlaubs wieder aufgeladen?

In der vierten Abschlusssektion «Burnout als Innovation» lehnen sich die beiden Herausgeber stark an den Ökonomen Joseph Schumpeter an. Seine Kernthese besagt, dass «Innovationen der Krisen und Diskontinuitäten bedürfen» (S. 210). Schumpeter hat diesbezüglich den bekannten Begriff der «schöpferischen Zerstörung» (zit. S. 210) geschaffen. Gemäss Neckel / Wagner «markiert Burnout jene Krisen, mit denen eine Transformation des modernen Arbeitssubjekts eingeläutet wird» (S. 215).

Würdigung

Der grosse Wert von «Leistung und Erschöpfung» liegt im fachübergreifenden Ansatz. Durch die Breite der Beiträge öffnen die Autorinnen und Autoren den Blickwinkel weit über das Phänomen Burnout im engeren Sinn hinaus. Als Leser erhalte ich das nötige Hintergrundwissen, um diese «Krankheit» in einen grösseren Kontext einzuordnen – sowohl interdisziplinär als auch in ihrer zeitlichen Entwicklung. Dabei wird auch nachvollziehbar, weshalb das «Burnout-Syndrom als Krankheitsentität [nach wie vor] nicht eindeutig definiert ist» (Neckel & Wagner, S. 23, Anmerkungen). In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung behilft man sich deshalb, indem auf zur Verfügung stehende Kategorien wie etwa die Depression zurückgegriffen wird. Es versteht sich von selbst, dass solche Hilfskonstruktionen nur bedingt befriedigen.

 

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